Vita
In den fünfziger Jahren, genauer gesagt, acht Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges, wird Wolfgang Loewe, als zweiter Sohn des Werbekaufmanns Emil Loewe und dessen Ehefrau, der Schneiderin Maria Loewe, in Osnabrück geboren.
Eine unbeschwerte Kindheit, in der Aufbauphase der Bundesrepublik, betrachtet aus den Augen eines Kindes.
Die großen Schilder und Autobeschriftungen, die farbigen Kinoplakate mit Portraits von Hollywoodstars und Markennamen werden im elterlichen Betrieb handgemalt.
Farben, Informationen, bunte Stilmittel des Aufschwunges, Lichtreklamen und Schilder stehen im Gegensatz zum morbiden Charme der Trümmergrundstücke und den Ruinen, den Zeichen einer dunklen Zeit.
Loewe empfindet den Weg zur Schule spannender als den eigentlichen Lehrstoff, das Rechnen, Schreiben und die Übungen im sprachlichen Miteinander.
Entsprechend fallen die Beurteilungen der Lehrer aus. Im Bereich des damals noch praktizierten Zeichenunterrichts kann Loewe schon in frühen Jahren gute Erfolge erzielen, obwohl die fliegenden Kühe schon in der zweiten Klasse auf einen gewissen Unverstand stoßen.
Die allgemeinbildenden Fächer Mathematik und Grammatik werden mit Rücksicht auf die Eltern lediglich mit einem Ausreichend beurteilt. Der Aufenthalt bei der Mittelschule ist nur von kurzer Dauer. Strenge Lehrer mit sehr autoritären Vorstellungen, Bestrafungen und der Wurf mit Lesestoffen missfallen dem jungen Loewe, so dass er den Weg der Bildung, auf dem Pfad des geringsten Widerstandes zurücklegt. Volksschule und dann Besuch der Handelsschule zur Erlangung der mittleren Reife.
Auch hier zeigen sich ähnliche Strukturen in der Aufnahme mathematischen Wissens, die wenig erfolgsversprechend scheinen.
Diese Situation erkennend, entscheidet Loewe mehr als einmal, die Fahrt auf der Honda in Richtung Teutoburger Wald vorzuziehen, und dem Wissen in Bereich Buchführung und kaufmännischem Rechnen eine Absage zu erteilen.
Die unausweichliche Abschlussprüfung kann dann aber doch noch, ebenfalls mit Rücksicht auf den elterlichen Betrieb, als erfolgreich verbucht werden.
Abschließend kann die Schulzeit im allgemeinen nicht unbedingt als die Zeit von Loewe betrachtet werden.
Auch Jahre später verfolgen ihn noch Träume aus dieser Zeit. Bücher fliegen, alleine im gefüllten Raum, Irrgärten in leeren Regalen.
In Zeiten größter politischer Unruhe verlässt Loewe Osnabrück und die Fittiche der Eltern und zieht nach Berlin. Von Vielen als das Sündenbabel Deutschlands bezeichnet.
Für Loewe aber eine Plattform des lange gesuchten Denkens. Kommunikation und offene Menschen mit einer ständigen Diskussionsbereitschaft, mit sehr hoher Toleranz, mit einem guten “Wir – Gefühl”.
Die Strukturen im Handwerk, in den Betrieben, sind ebenso gegliedert, wie die Strukturen innerhalb der städtischen Wegeführung. Die Anbindung an zentrale Punkte des innerstädtischen Lebens sind von großer Hand geplant, werden auch angenommen und eingehalten. Beginnend bei der Busfahrt bis zum Besuch des Olympiastadions.
Selbst die Fahrt durch den Korridor der DDR ist eine Struktur innerhalb des komplexen Miteinanders. Die Mauer, als Sinnbild kranker Politik, so doch ein übergeordnetes Zeichen als Grenze von frei zu nichtfrei.
Loewe beginnt seine Lehre als Schilder- und Lichtreklamehersteller in einem kleinen Betrieb in Berlin Friedenau.
Handwerkliche Arbeiten und das Bewusstsein einen festen Platz zu erlangen innerhalb des betrieblichen Prozesses, lässt die Zeiten der schulischen Vergangenheit schnell vergessen und machen Platz für positive Sichtungen von Stadt, Formen, Menschen und Bildern.
Der gedankliche Austausch findet oft im Kreuzberger Kaffee Kaputt oder in der Destille Leydicke statt. Hier treffen sich Künstler, Studenten und eine Anzahl Intellektueller, die begleitet durch die Unruhen auf dem Kurfürstendamm eine meist linke Auffassung vertreten, bei den meisten Arbeitern aber auf harte Kritik stoßen.
Ein Spannungsfeld, bestehend aus den intellektuellen Verfechtern des funktionieren- dem Kommunismus und auf der anderen Seite die Erfahrung der Mauergeschädigten mit ihren bitteren Erlebnissen aus Krieg und Teilung. Für Loewe eine Welt, die ihn magisch anzieht und künstlerisch inspiriert.
Als Pflastermaler betätigt er sich zeichnerisch auf dem Kurfürstendamm Ecke Kranzler – Eck, als Maler von Clowns und Gesichtern mit überzogenen Gesichtszügen diskutierender Gegner.
Als er seinen Knirps-Regenschirm aufspannt und mit Kreide darauf schreibt “Arbeitsscheu” kommt es zu einem Massenauflauf, führt aber auch zu Kontakten mit Künstlern und ersten freien Besuchen und Atelierbesichtigungen an der Hochschule für bildende Künste.
All diese Aktivitäten sind ein Zeichen aktiver Lebensfreude und die Suche von Verbindungen zu Gleichgesinnten, die in der Zeit des Pop Art, Fluxus und Happening ihren eigenen Stil suchen.
Berlin – eine Fundgrube.
Die Berliner Zeiten werden mit dem Erfolg der Gesellenprüfung und der Auszeichnung zum Landessieger im Handwerk sowie zum dritten Bundessieger gekrönt.
Loewe geht mit dem Schwung der Berliner Inspiration auf die Meisterschule in das Badische Lahr. Eine Zeit handwerklicher Weiterentwicklung und künstlerischer Ideen.
Es bleibt viel Zeit, die Träume mit Feder und Tempera zu zeichnen und zu kolorieren. Die Metamorphose des Eierkopfes, eine Weiterentwicklung seiner skurrilen Gesichter, in Verbindung mit sphärischen Hintergründen.
Architektur fließt in Loewes Arbeiten ein. Inspiriert durch den Stilkundelehrer Schüßler werden Gebäude und Historie mit einer anderen Brille betrachtet.
Die Komposition der Fläche und des Raumes üben auf Loewe eine große Faszination aus. Die richtige Zuordnung der Farben in die entsprechende Epoche, als auch der richtige Umgang mit den einzusetzenden Stilmitteln, insbesondere der Schrift, birgt eine neue Qualität der Gestaltung.
Die Säulenordnungen der griechischen Tempel in der Weiterführung zum Klassizismus üben auf Loewe bis heute eine magnetische Anziehungskraft aus.
Die Zeit in Lahr ist auch begleitet von der großen Liebe Angelika. Hier kennen gelernt, begleitet sie seit dem Loewe auf seinen unergründlichen Wegen.
Nach der meisterlichen Erfahrung, dem persönlichen Aufbau und der provinziellen Langeweile zieht es Loewe wieder nach Berlin zum Studium an der Hochschule der Künste. Im Bereich Schauwerbe – Design am Einsteinufer wird das erste Semester erfolgreich abgeschlossen.
Die künstlerische Arbeit führt Loewe nach Kassel für eine Ausstellung in der Galerie in die Pestalozzistraße.
Ausstellungsschwerpunkte sind neben den skurilen Figuren, nun auch architektonische Sichtungen und Fassadenausschnitte mit Tempera und Feder. Einstieg in die abstrakte Darstellung findet Loewe über das Thema der Spurensicherung: Fall und Roll einer Underberg – Flasche, Warten bei der Behörde usw.. Eine Drucktechnik mit Alltagsgegenständen, zufällig, kritisch komponiert.
Schon in dieser ersten Ausstellung Loewes sind die Strukturen, die landschaftlich anmutenden Zeichnungen, ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit.
Bei aller Spleenigkeit seiner Werke ist immer eine Harmonie aus Formen und Farben, eine angenehme Gesamtkomposition, sein Ziel.
Klare Strukturen, berechenbare Linien, das harmonische Miteinander.
Loewe muss Berlin verlassen, das Studium abbrechen, und nach Osnabrück zurückkehren aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten im elterlichen Betrieb. Die Ölkrise, als eine der ersten Krisen der Bundesrepublik traf es die Firma sehr hart.
Entlassungen, menschliche Enttäuschungen, unberechenbare Finanzpartner. Die einst so wertvolle heile Welt gerät ins Wanken. Macht im gleichem Zuge auch Platz für Neues. Der Weg in den väterlichen Betrieb ist nun nicht mehr vorbestimmt, die freie Entfaltung hat nun Priorität.
Loewe entwickelt sich ständig kreativ weiter. Die Stadtkästen entstehen, architektonische Ausschnitte als dreidimensionale Objekte, collagiert mit Neonreklamen und Schrift.
Ausstellungen in Liechtenstein folgen, mit hohem kommerziellem Erfolg.
Die Anziehungskraft der Architektur wird in den Kasseler Kulissen deutlich.
Verfremdung von Kasseler Stadtansichten, gepaart mit Collagen des Triumphbogens
oder mit der Betonplastik des Fluxuskünstlers Wolf Vostell. Auch der neue ICE Bahnhof wird mit dem Dinosaurier in ein ungewohntes Blickfeld gerückt. Gearbeitet wird mit Collagen und anschließendem Siebdruck. Eine Ausstellung im Vestibül des Rathauses Kassel schließt diese Serie ab.
Ständig ist die Komposition von klaren Strukturen und einordbaren Formen in Verbindung mit dem gedanklichen Spielraum des Betrachters als Zusammenhang zu sehen.
Landschaftsmalerei, besetzt mit der Alm und dem Königssee sind nicht die Ziele Loewes künstlerischen Werkes. Doch möchte Loewe aufzeichnen und verdeutlichen, diesen komplexen Zusammenhang von geraden Strukturen, als Sinnbild logistischer Wege und den Freiräumen für höchste Individualität und gedankliche Integrität.
Die erlebten Berliner Zeiten, mit heftigen Diskussionen von Ost und West, Rot und Schwarz, arm und reich, das Funktionieren der vorgedachten logistischen Abläufe und das tiefe Gefühl von “Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein”, wird sein weiteres Werk begleiten.
Tochter Anja wird geboren. Ein neuer Glanz.
Zurück in dem Bereich des kommerziellen Weiterlebens. Die Firma Loewe – Graphik positioniert sich am Markt in Kassel. Schon bald sind Loewe eine Adresse für ausgefallene Gestaltung, fernab der Norm, aber mit handwerklicher Präzision. Aufgrund der Erfahrungen der finanziellen Schieflage des elterlichen Betriebes und dem daraus resultierenden Desaster verwurzeln sich in Loewes Kopf stets die Ängste finanzieller Katastrophen. Auf der Suche nach neuen Marktlücken entsteht der Geschäftszweig der Living Walls. Innenraumgestaltung mit den Erfahrungen künstlerischer Sensibilität.
Aufträge, erst Brauerei gebunden, verselbständigen sich und weiten sich zu Empfehlungen an Privatpersonen aus.
Während einer großen Auftragsarbeit in Berlin entstehen kleine malerische Figuren, über die sich Loewe zeichnerisch in enormer Geschwindigkeit ausdrücken kann.
Mit einfachem Strich wird Liebe, Furcht Kommunikation, Tanz, Diskussion, Wut, jeder Gefühlszustand vergleichbar mit Hieroglyphen auf die Wand übertragen. Diese Figuren erhalten den Namen TOL, wie Tool oder Troll.
In einem Mentaltraining werden in Loewe gedankliche Welten angestoßen, die über den Tol sichtbar gemacht werden. Gerade zur rechten Zeit. Die depressiven Phasen brauchten ein Ventil in dieser Art der Darstellung. Die Tols bleiben nach wie vor ein Begleiter der Gedanken, sind jedoch nicht so stark in das eigentliche Werk Loewes einzuordnen.
Landschaften und Träume.
Boden und Himmel
Rational und emotional.
Glanz und Matt
Hell und Dunkel
Groß und klein
Oben und unten
Erkennen der Polarität.
Loewe läßt sich ausbilden zum Feng Shui Berater. Hier erfährt er die schon lange gespürten kosmischen Zusammenhänge.
Radiästhetische Verbindungen von Kubensystemen, Ausgeglichenheit der Elemente, Formensprache und räumliche Zuordnungen.
Alles vorher schon praktizierte wird durch diese Ausbildung bestätigt und kraftvoll erweitert. Nun scheint es belegbar, warum Menschen mit Feuerenergie sich dem Menschen mit mehr Wasseranteilen strittig nähern, der Person mit dem Element der Erde wohlgesonnen ist.
Die Strukturen des WuXing, die Lehre der Wandlungsgesetze, die Lehre des Feng Shui und die damit verbundene Ruhe fasziniert Loewe.
Die Darstellung der Ruhe zeigt sich in seinen folgenden, großflächigen Arbeiten.
Drei Farben, schwarz und Gold.
Die Grundfarben aus dem gelernten Bereich des Siebdruckes oder des Offsetdruckes
Cyan für blau, magenta für rot und yellow für gelb, bilden zwar eine Grundlage der Arbeiten, stehen aber nicht unbedingt im gestalterischen Zusammenhang.
Vielmehr ist der Grundtypus der einzelnen Elemente das künstlerische Element. Rot bekommt über blau oder grün keine Konkurrenz, sondern wird ein Teil des Ensembles. Überschneidungen beider Farbschichten führen sogar zur Geburt neuer Farbharmonien.
Gespräche und heftige Diskussionen aus Berliner Zeiten zeigen ähnliche Strukturen. Der Drang zum harmonischen Miteinander wird über die Farbe in vorher nicht gesehene Bahnen gelenkt. Jeder Mensch scheint eine Farbe, jeder so wie er sich gibt.
Das Umfeld, oder besser gesagt die Plattform aller kommunikativen Exkursionen ist der Ton mit den neutralsten farblichen Eigenschaften.
Loewe inszeniert seine Bilder mit der Kulisse, die ihm ausreichend ist. Der Hintergrund in einer Tonierung aus schwarz und umbra ist ein Stilmittel, das Loewe einsetzt um sich zu neutralisieren. Der Platz verdienter Ruhe und Zurückgezogenheit, auch Platz für tiefe Melancholie.
Gold, nicht nur ein Faible aus Berliner Zeiten, in denen er in handwerklicher Präzision die Geheimnisse der Vergoldertechnik erlernte, nein, auch für Loewe ein Wert für materielle Unvergänglichkeit, ein Zeichen für Stabilität und Vertrauen.
Loewe kombiniert keine Bilder, er komponiert Erfahrungen. Seine drei Farben sind Landschaften, Menschen Gedanken und Werte. Sie haben immer einen vertikalen Verlauf. Loewe sieht darin den Weg vom Boden zum Himmel. Erwachsen aus der Erde, aufstrebend, sich lösend, verfallend und Platz machend für Neues. Stirb und werde.
Auch Loewes Betonplastiken zeigen diese Strukturen auf. Dünne Zweige halten Betonklötze überproportinaler Größe, werden jedoch an Stäben leicht gehalten, die neuen Zweige zu schützen. Er nennt diese Skulptur Generationenvertrag.
Auch seine farbigen Linien zeigen, wie die Reisigzweige, leichte Kannelierungen und Risse, Symbole für Alter und Erfahrung.
Die Neuen Arbeiten beinhalten zur farblichen Komponente auch die Stilmittel seiner, in Vergessenheit geratenen Arbeiten der Phantastischen Erzählungen. Eine Reihe gezeichneter Collagen, graphisch exzellent aufbereitet als Spiegel seiner Träume.
Der Mondwerfer, dieser nachtaktive Bote, der über die Brücken städtischer Gebilde seinen Mondball den Schlafenden zum Wandeln zuwirft, der Kampf der Engel vor den Gräbern der spanischen Cementeria, die uneins sind um die Ruhe der für immer Entschlafenen. Loewe findet sich hier wieder. Spielerisch formiert er die Zeichnung, setzt um im digitalen Druck, verfeinert, komponiert und verknüpft seine Erfahrung in ein Netz der künstlerischen Gesamtheit.
Die Ausstellung am 27. November 2009 in den Produktionshallen der Druckerei Boxan
Ist eine Herausforderung im künstlerischen Gesamtwerk von Wolfgang Loewe.
Die Annäherung an industrielle Prozesse innerhalb tiefster künstlerischer Ruhe, als Zeichen gegenseitiger Achtung.